Leon Giseke alias Bluestaeb veröffentlichte letzte Woche sein neues Album „GISEKE“ über Jakarta Records. Für den multidisziplinär arbeitenden Produzenten ist es das Album, das er schon immer machen wollte und das ihn ankommen lässt. Auf dem vierzehn Track-starken Release verbindet er RnB, Funk, Soul und Hip Hop Einflüsse zu einem energetischen und fesselnden Vibe, der sich durch die Platte zieht. Als Gäste sind Produzenten und Instrumentalisten aus seinem engeren Kreis vertreten, aber auch internationale Rap- und Gesangsfeatures mit Artists wie Mick Jenkins, Ric Wilson, Uno Hype und Jerome Thomas sind dabei. Wir sprachen mit Bluestaeb im Interview über seine musikalischen Einflüsse, die Entstehung des Albums und seine persönliche Entwicklung als Produzent und Kurator.
Die Single-Phase liegt hinter dir, der Album-Release steht bevor – wie geht’s dir gerade in der Situation?
Ich finde diese Single-Phase ist einerseits ein ziemlicher Euphorie-Moment, weil ich so lange an dem Album gearbeitet habe und das dann endlich der Öffentlichkeit präsentiert wird. Andererseits ist das auch ein Moment, indem ich immer viel hinterfrage. Habe ich da die richtigen Entscheidungen getroffen? War das die richtige Single? Deswegen ist das auch erschöpfend. Aber die Reaktionen waren richtig gut, insofern bin ich ziemlich happy über die Entscheidungen. Und ich hoffe, dass die Leute noch Energie für das ganze Album haben.
Du bist ja gerade in Paris, bist dort vor sechs Jahren hingezogen. Wie ist dein Verhältnis zur Stadt – gerade auch als Musiker?
Ich glaube vor allem von der kreativen Seite her, war das die richtige Entscheidung. Ich komme aus Berlin und selbst, wenn diese Stadt sehr kreativ ist und viele Potenziale hat, hatte ich immer mehr das Gefühl, dass ich mich irgendwie im Kreis drehe. Insofern habe ich das nie bereut, nach Paris gezogen zu sein. Das ist ja oft so, wenn man aus der Geburtsstadt wegzieht. Das eröffnet einem einfach neue Horizonte. Ich fühle mich hier ziemlich wohl und habe auch echt viele Musiker kennengelernt.
Deine Eltern sind beide Architekten, also auch Kreativschaffende. Man findet in deiner Musik immer wieder Bezüge zu diesem Background und auch zur Architektur. Bist du da stark durch geprägt?
Ja, auf jeden Fall, ziemlich stark. Um das ein bisschen erlebbarer zu machen, was ich mit dem Architektur-Begriff, den ich immer wieder benutze, meine: Da geht es nicht um ein Haus, sondern eher viel um Raumwahrnehmung. Es geht um Umgebung und welche Position du selbst in dieser Umgebung hast. Ich glaube schon, dass das eine ziemlich große Rolle für mich spielt. Und ganz konkret zeigen sich diese Architektur-Vibes natürlich auch in der Ästhetik, die ich seit Jahren immer wieder verwende.
Und der musikalische Einfluss? Du hast schon als Kind angefangen Musik zu machen, dein Vater ist auch Musiker. Macht ihr zusammen Musik oder tauscht euch aus?
Mein Vater hat damals die Entscheidung getroffen, Architekt zu sein und nicht Musiker. Aber wir machen immer mal wieder Sessions und das macht auch Spaß. Er ist vor allem ziemlich starker Kritiker meiner Musik, weil er eher mit diesem 70er-Jahre-Blick darauf schaut. Und wenn man da mit einem Loop-basierten Song ankommt, indem nach zwei Minuten noch keine Bridge war, kann er das nicht so richtig nachvollziehen. Meine Musik hat sich ja in dieser Hinsicht auch total weiterentwickelt. Aber ja, ich denke schon, dass da die Gespräche mit meinem Vater, und den Vibe den er da mitreinbringt, wichtig waren. Ich zeige ihm auch immer die Alben, wenn die etwa zu achtzig Prozent fertig sind, damit er nochmal seine Kritik äußern kann. Und dann schaue ich welche Punkte ich noch ändere und welche nicht. Und ich muss zugeben, dass diese Kritik oft total berechtigt ist.
Wie würdest du denn sonst deine musikalischen Einflüsse beschreiben? Bist du eher von Menschen um dich herum beeinflusst?
Also das konkrete Umfeld ist auf jeden Fall ein großer Einfluss. Ich würde da vor allem S. Fidelity und K, Le Maestro aus London nennen. Wer uns auf Instagram verfolgt, sieht auch, dass wir uns immer für Sessions im Studio treffen. Sehr intensive Sessions, das gibt mir sehr viel Drive. Das beeinflusst mich auf jeden Fall ziemlich. Ich würde sagen, dass auch hier in Paris die Musiker, mit denen ich arbeite, mich beeinflussen. Aréna, der Keyboarder von Undergound Canopy zum Beispiel. Konkrete Einflüsse sind sonst wahrscheinlich eher London und LA.
Und bist du jemand der in der eigenen Albumphase trotzdem viel andere Musik hören kann? Oder musst du dich da eher abkapseln?
Überhaupt nicht. Ich muss zugeben, ich bin ziemlich offen für Einflüsse und glaube das hört man auch. Ich finde das aber gar nicht schlimm. Jedes Popkulturmoment ist letztlich aus irgendetwas entstanden, dass es vorher gab. Für das neue Album habe ich sehr viel mit Leuten zusammengearbeitet und natürlich auch deren letzte Alben und Projekte angehört. Das heißt ich habe unheimlich viel Musik gehört, während ich das Album gemacht habe.
Das neue Album heißt „GISEKE“, ist also nach deinem Nachnamen benannt. Was ist die Story hinter diesem Album?
Also die Story hinter dem Namen ist erst mal, dass meine Künstlerpersönlichkeit und meine private Persönlichkeit nicht mehr wirklich voneinander getrennt sind. Die sind die gleiche Person geworden. Früher war das anders. Heute ist das meine Lebensrealität. Ich wollte meinen echten Namen näher ins Spiel bringen. Ich habe den Künstlernamen Bluestaeb „erfunden“ als ich Achtzehn war. Jetzt bin ich Dreißig, es war Zeit für einen Identitätswechsel. Und ansonsten zur Story, was musikalisch passiert ist: Das letzte Album hieß ja „Everything is Always a Process“. Weil ich wusste, dass das noch nicht das Ende der Reise ist. Dass ich jetzt mein eigenes Album so nenne, wie ich wirklich heiße, ist Ausdruck davon, dass ich angekommen bin. Ich habe auf dem Album sowohl von meinen eigenen Kapazitäten als auch von den Leuten, mit denen ich gearbeitet habe, machen können, was ich immer machen wollte.
Kannst du was zum Prozess erzählen? War das als Album-Projekt geplant?
Tatsächlich wollte ich erst eine EP machen. Aber wegen Corona hatte ich dann genug Zeit ein Album daraus zu machen. Und wegen Corona waren auch die ganzen Feature-Gäste einfach unheimlich erreichbar, weil die auch alle zuhause hockten. Das heißt die Menschen, die vielleicht sonst ihre DMs auf Instagram übersehen hätten oder nicht so schnell reagiert hätten, waren eher verfügbar. Das hat mir schon geholfen, das ein bisschen größer anzulegen, als ich vielleicht ursprünglich geplant hatte.
Hat Corona denn die Zusammenarbeit auch erschwert? Konntest du z.B. Leute überhaupt treffen im Studio?
Nein, also treffen konnte ich fast niemanden. Nur die Instrumentalisten, die sind fast alle aus meinem direkten Umfeld. Aber die ganzen Rapper, Sänger und Sängerinnen waren reine Internet-Kollaborationen. Das hat aber ziemlich gut funktioniert, auch weil einfach gegenseitiger Respekt da war gegenüber dem Arbeitsethos. Die Leute, die letztlich down dafür waren, mit mir zu arbeiten, die haben auch gut verstanden, wie ich arbeite.
Cool, dass sich da alle drauf eingelassen haben. Und du ja auch – eigentlich bist du kein Fan von Internet-Zusammenarbeiten, oder?
Ja das stimmt, ist mir auch jetzt gerade erst aufgefallen. Vielleicht muss ich das ein bisschen relativieren, was ich sicherlich früher mal gesagt habe. Also, dass ich lieber nur echte Sessions mache. Mir war einfach klar, dass ich zum Beispiel genau diese Leute aus LA auf dem Album haben will, weil das einfach der Sound ist, den ich machen wollte. Ich wollte ein kompromissloses Album machen. Und dafür waren dann eben auch diese Internet-Sessions nötig, weil es anders nicht gegangen wäre.
Du sagst, dir ist es in der Zusammenarbeit immer wichtig deinen Feature-Gästen auch Raum für ihre Ideen zu geben. Wie hat das für dich bei diesem Projekt funktioniert?
Ich muss zugeben – erstaunlich natürlich. Das liegt glaube ich daran, dass sowohl die Vokalisten, als auch die Zuhörer, immer mehr erkennen, was so ein Producer Album sein kann. Vor ein paar Jahren war das noch etwas anderes. Und ich glaube durch Alben wie die von Kaytranda, haben die Leute mehr verstanden, was da passieren kann. Und ich glaube, dass daher auch die Vokalisten mit denen ich gearbeitet habe, eher bereit waren, sich darauf einzulassen. Das meinte ich vorhin mit dem gegenseitigen Respekt. Sowohl das Vertrauen in mich wie ich die Songs vollende. Als auch andersherum, dass ich keine Vorschriften zur Songstruktur oder so gemacht habe. Das passierte alles währenddessen, ziemlich natürlich.
Wie nimmst du denn die Entwicklung und Veränderung deiner eigenen Rolle als Produzent war?
Die würde ich auch als sehr kompromisslos bezeichnen. Ich bin jetzt ein Produzent und kein Beatmaker mehr. Es gibt ja unheimlich viele Leute, die mit den zwei Begriffen jonglieren. Ich denke, dass man bei meiner Arbeit jetzt sehr drastisch bemerken kann, dass das kein Beatmaking ist, sondern Produzentenarbeit. Und da soll es auch weiter hingehen. Deswegen steht in meinem Pressetext auch dieser „Kurator“-Begriff, weil das glaube ich etwas ist, dass mich ausmacht. Im Album sind ja auch verschiedene Genres vermischt und trotzdem ergibt das am Ende kohärentes Gesamtwerk. Man verbindet viele verschiedene Puzzleteile zu etwas anderem. Und ich hoffe natürlich, dass die Leute das auch wahrnehmen und checken.
Auf jeden Fall sehr spannend, dass du es geschafft hast, deine Rolle für dich und auch in der Außenwahrnehmung zu ändern.
Ja, das Thema Rollen-Ändern ist auf jeden Fall ein Kampf und kann Jahre dauern, bis man es geschafft hat, gerade in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich will aber den Beatmaking-Begriff auch gar nicht runtermachen. Es gibt Leute, die bauen viel geilere Beats als ich, aber die schaffen es vielleicht nicht ein Album in dieser kohärenten Form zusammenzubringen. Ich glaube jeder muss da seine Rolle zu finden und meine ist eben nicht diese.
Gibt es für dich einen besonders wichtigen Track auf der Platte? Oder einen mit dem du gehadert hast?
Gehadert habe ich eigentlich mit keinem Song. Meine ursprüngliche Intension war, dass es noch mehr Uptempo-Funk-Songs geben sollte. Ich mag die langsamen Rap-Songs auch, aber wenn ich mein Lieblingsgenre bezeichnen müsste, wären das wahrscheinlich Funk-Beats mit schnellem Rap drüber. Das heißt, ich war sehr happy, als der erste Song mit Ric Wilson & cay caleb. und der Song mit Louis VI fertig waren. Da war das Album dann für mich so richtig da.
Ich war überrascht, dass es überhaupt so viele Rap-Song gibt.
Ja, also auch in Bezug darauf: ich habe das Album als kompromisslos bezeichnet, was auch stimmt. Eine kleine Eigenkritik habe ich, oder etwas, das ich gern anders gemacht hätte: Ich hätte sehr gern mit mehr Frauen gearbeitet. Was auch ein bisschen aus der Dynamik entstanden ist, welche Features geklappt haben und welche nicht. Und auch noch ein bisschen mehr Soul auf einigen Tracks könnte ich mir vorstellen. Beim nächsten Album dann.
Wir bedanken uns bei Bluestaeb für das spannende Gespräch und legen euch das Album „GISEKE“ ans Herz – wir sind ganz begeistert! Checkt hier unten das Album als Stream, schaut euch nochmal die Visualizer zu den Singles an oder kauft die Platte gleich hier und folgt Bluestaeb, um keinen Release mehr zu verpassen.
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Fotocredit: Robert Winter