Der Marburger Songwriter, Rapper und Produzent Odd John veröffentlichte nach einigen EPs und Mixtapes Ende 2021 mit „Schlecht“ sein erstes zusammenhängendes Werk auf Albumlänge. Auf den neun Songs des überwiegend von ihm selbst produzierten Longplayers verpackt Odd John abermals intime Texte über persönliche Zweifel und Weltschmerz in ein experimentelles Soundgewand zwischen Bedroom-Pop, Hiphop, House und Future-Bass. Wir trafen den Ausnahmekünstler zum ausführlichen Gespräch über sein (entgegen dem etwas irreführenden Titel sehr gutes) erstes Album, Videospielmusik, frustrierend hohe Selbstansprüche, kryptische Deutschpunk-Lyrics und Zukunftsangst im Internet.
First things first: Was hat es eigentlich mit dem Künstlernamen Odd John auf sich, falls du das verraten möchtest? Das habe ich nämlich bisher nirgendwo herausgefunden. Ich glaube, es gibt einen britischen Roman, der auch so heißt, aber ich weiß nicht, ob das was mit dir zu tun hat?
Jo, also von diesem Roman hab’ ich auch schon gehört; ich hab’ auch schon ein bisschen gekuckt, worum es darin geht. Es ist ganz witzig, aber der hat damit tatsächlich nichts zu tun, sondern das ist eher so eine witzige Ableitung von meinem richtigen Namen. Also richtig heiße ich eigentlich Odion und ähm… Es ist eine funny Story, damals, das ist schon super lange her, ich hatte ja mal einen anderen Künstlernamen, der war Cameo, und ich habe mich mit einem Kollegen über meinen Namen unterhalten damals und hab’ erzählt, dass mein Sportlehrer meinen Namen ständig falsch ausgesprochen hat. Der hat ständig „Ottjohn“ zu mir gesagt und dann meinte Jonas, das ist der Kollege, der meinte „Nenn’ dich doch so“ und daraus wurde einfach „Odd John“. Das ist literally die Story (lacht), viel mehr ist tatsächlich nicht dahinter.
Du nennst in deiner Mucke zum Beispiel auf „Healing“ als musikalische Vorbilder ganz dezidiert u. a. Tua, Maeckes und Sierra Kid. Von deinem ja doch recht experimentellen Soundbild ausgehend würde ich aber schätzen, da gibt es noch mehr Einflüsse als nur Deutschrap, oder?
Ja, auf jeden Fall, es ist sehr wide spread. Es hängt glaube ich einfach damit zusammen, dass ich eben mit dem Internet groß geworden bin und schon immer appreciaten konnte, dass ich irgendwann einfach wirklich alles anhören konnte, so. Und… so ganz konkret, ich glaube, was wirklich noch ’ne sehr große Rolle spielt in der Art und Weise, wie ich Mucke mache, ist echt Videospielmusik – ich hab unfassbar viel Videospielmusik als Jugendlicher gehört. Einfach dadurch, dass ich viel gezockt hab’ erstmal, das ist so ein Ding. Aber generell, ich war so jemand, ich habe dann so Soundtracks von irgendwelchen Games, die ich cool fand, auf meinen damals noch iPod gezogen und so was auch viel gepumpt. Kein Plan was es damals war, aber ich fand die Musik aus Videospielen schon immer richtig krass. Und manchmal habe ich auch so das Gefühl, die Art und Weise, wie ich texte kommt auch so ein bisschen vom Deutschpunk tatsächlich, ich habe sehr viel Deutschpunk in meinem Leben gepumpt und fand schon immer krass, wie die Leute geschrieben haben. Meine favorite Band in dem Zusammenhang heißt Adolar, die haben sich leider aufgelöst, aber dieses Album „Schwörende Seen, ihr Schicksalsjahre“, das ist so eins meiner absoluten Lieblings-Alben deutschsprachiger Musik und da hört man glaube ich ganz gut raus manchmal, dass ich irgendwie… Ich habe so ein bisschen die Schreibe von dem Sänger von Adolar, denke ich manchmal. Und daher kommen auch Einflüsse, weißte, ich ziehe überall aus ganz, ganz vielen verschiedenen Dingen, die mir gefallen was raus.
Aber ja, so Tua, Maeckes, Siera Kid und so sind naheliegend für mich, weil es halt irgendwie am ehesten noch, glaube ich… Das sind am ehesten Leute, wo ich sehr sehr viel dran war an deren Weg auch und deren Werdegang, die haben mir sehr, sehr viel gegeben, auch unabhängig von der Musik.
Es gibt auch so einen gewissen Elektro- und und UK-Einschlag bei dir, glaube ich, also so Drum’n’Bass-ige oder Garage-ige Patterns. Ich glaube, du hast auch mit Dubstep angefangen zu produzieren?
Ganz, ganz, ganz, ganz früher habe ich so ein bisschen Dubstep produziert, ja, aber das war eine relativ kurze Phase. Ist auch echt lange her, bestimmt… das war so 2014, 2013 rum.
Ich finde deinen Stil sehr eigen und hab mich gefragt, wie gehst du an das Texten ran? Hast du ein bestimmtes Thema im Kopf und fängst dann an das auszuarbeiten? Oder ist es auch eher so ein assoziatives Drauflos und der Text ergibt sich?
Also meistens ist es so, das läuft bei vielen so, es fängt immer oder sehr oft zumindest einfach echt nur an mit zwei oder drei Lines und vielleicht auch nur einer Line. Und das ist dann… Meistens kann man aus der Line schon sehr, sehr viel rausholen und kriegt vielleicht schon ’ne gewisse Stimmung aus der Line alleine raus. Und oft fange ich dann aber erst direkt mit dem Beat an und der Beat macht dann irgendwie auch noch mal viel aus, wie ich am Ende schreib’. Und im Endeffekt ist es für mich so bisserl Puzzleteile zusammensetzen. Ich schreibe mal… also es gibt schon Momente, wo ich dann wirklich sehr bewusst dahock’ und irgendwie zwei Stunden so da sitz’ und denk „Ok, ich würde jetzt gern was schreiben“. Aber meistens funktioniert das nicht so gut. Es ist oft eher so, ich habe diesen Song als Skizze, ich hab den da, ich hab’ den Beat, ich hör’ das immer mal wieder in verschiedenen Situationen und voll oft komme ich wieder in so’n Gefühl rein, wo sich plötzlich noch eine Line ergibt und die hänge ich dann dran. Und irgendwie, weißte, sagen wir es ist irgendein Song, mir geht’s nicht so gut und dann habe ich eine Phase, in der es mir gut geht drei Tage lang und dann geht es mir vielleicht mal wieder nicht so gut und plötzlich kommt da noch mal ’ne Line dazu. Und das zieht sich tatsächlich voll oft über sehr lange Strecken hinweg, ich brauch unfassbar lange, um ’nen Text zu schreiben (lacht), wenn es jetzt nicht einfach goofy Shit ist, dann brauch’ ich tatsächlich echt lange dafür. Und das sind dann meistens einfach die Momente, wo ich mich dann vielleicht wieder nahe an diesem Song fühle, da kommen die Lines plötzlich und dann, ganz am Ende, wird es ein riesiges Puzzle und ich muss es irgendwie zusammensetzen und dann hier noch eine Silbe rausnehmen und dann… Weißte, dann kommt auch so ein Prozess irgendwann, wo ich dann so denkt „Okay, jetzt will ich noch, dass es sich gut anhört, das ist vielleicht schön geschrieben, aber es soll sich einfach noch irgendwie gut anhören“. Und dann muss ich vielleicht schon noch mal so ein bisschen Friemelarbeit machen. Ähm, genau, so setzt sich das zusammen, es ist ein relativ langer Schreibprozess eigentlich.
Ich frage auch deswegen, weil deine Texte teilweise recht kryptisch wirken. Weißt du selbst ganz genau, was du am Ende, wenn dieser große Puzzle-Prozess fertig ist, mit jeder Zeile ausdrücken möchtest? Oder geht es manchmal bei den Lyrics auch nur darum eine bestimmte, vielleicht diffusere Stimmung zu transportieren, während du die Stimme ja auch als Instrument benutzt? Oder kannst du sagen „Ja, das, da meine ich den, da meine ich die“?
Also… Es ist ganz witzig. Manchmal gibt es Lines, deren Sinn oder deren Idee sich für mich irgendwie erst noch ein bisschen später ergibt (lacht). Das klingt jetzt so ein bisschen komisch, aber ich schreibe ja schon irgendwie, ich weiß schon, was du meinst, kryptisch. So ist es halt irgendwie sehr wild und sehr assoziativ, es wirkt schon sehr so „Okay, er zieht irgendwelche komischen Bilder raus, packt die jetzt zusammen und dann sollte es irgendwie Sinn ergeben“. Aber so sehe ich viele Songs gar nicht, sondern das sind für mich manchmal schon so ein bisschen Flickenteppiche, die schon einen Teppich ergeben dann, aber vieles hängt auch oft nur über einen sehr schmalen Faden miteinander zusammen. Und ich denke mir bei den meisten Lines… doch, ich check’ schon, was ich mit ’ner Line meine oder was ich ausdrücken möchte. Aber ich bin mir, glaube ich, ziemlich bewusst darüber, dass das für andere nicht so ist. Und ich glaube, das ist was, was ich ziemlich cool finde eigentlich. Weil ich denk’ mir „Jo, so Meaningfullness, so Sinn aus ’ner Line, die ergibt sich ja nicht unbedingt dadurch, dass sie so blatantly open ist, ich meine jetzt das und das ist die Metapher und da ist die Referenz“, sondern, ey, irgendjemand ordnet das für sich halt irgendwie ein und muss damit irgendwas machen. Und das ist, glaube ich, das, woran man dann nagen kann, weißt du, und ob man jetzt nah an meine Intentionen in der Line rankommt oder nicht, das ist voll egal. Ich glaube, das macht es nicht aus. Deswegen: Ja, ich denk’ mir schon was bei jeder einzelnen Line, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es schwer verständlich ist und das soll aber auch so sein, es muss so sein, find’ ich oder es darf so sein. Ich bin so voll Anti-Fraktion „Lines erklären“ und „Wie hast du das gemeint?“ und, weißte, ich denk’ vieles ist einfacher zu verstehen und manches vielleicht nicht so einfach oder nur wenn man eine gewisse Referenz, oder was auch immer, checkt, weil man irgendwie ’nen Background hat… genau, das ist so meine Ansicht dadrauf.
Es geht ja auch viel um deinen eigenen emotionalen Mikrokosmos. Also es gibt bestimmte wiederkehrende Themen wie Angst, Liebe, Selbstzweifel, nicht einschlafen können. Ich glaube du hast im Interview mit Rap’n’Blues auch mal gesagt, dass du einfach keine Lust hast Songs zu machen, wenn du gute Laune hast, daher die Frage: Sind die Songs für dich in erster Linie Chancen zur Verarbeitung und Selbstreflexion, also ist eher ein Zwiegespräch mit dir selbst? Oder möchtest du anderen Leuten auch was mitgeben?
Also, ja safe. Ich denke, allein der Umstand, dass ich das veröffentliche ist für mich schon irgendwie in eine Art und Weise, wo ich sage „Ja, klar will ich, dass Leute das in irgendeiner Form bewegt.“ Aber, jo, natürlich hat sich dieses Musikmachen und der Prozess, Sachen aufzuschreiben, in so ’nen Flow zu kommen beim Produzieren, all diese Sachen, die mit Songs machen zusammenhängen, natürlich hat sich das im Laufe meines Lebens zu einer Form Ventil entwickelt. Ich kann, glaube ich, nicht so genau benennen, für was da so, wahrscheinlich, weil es sehr viele diffuse Dinge gibt, die mich… die dann irgendwo manchmal auch miteinander verwoben sind oder manchmal auch nicht, so Dinge wie Weltschmerz auf der einen Seite und dann so der ganz persönliche, eigene Schmerz in so ’nem kleineren Kosmos. Ich denke… Das sind schon Dinge, die dann dafür sorgen, dass meine Musik so klingt und so düster ist, wie sie halt klingt.
Ich glaube, zu dem letzten größeren Projekt vor dem Album, „Healing“, das war eine nach und nach wachsende Playlist, die dann eine EP wurde oder Playlist, wie man das nennen möchte, dazu hast du bei Instagram glaube ich gesagt, dass du Musik so ausgiebig als Ventil genutzt hast, dass du am Ende keine positiven Gefühle mehr mit Musikmachen verbinden konntest und das mit diesem „Healing“-Projekt überwinden wolltest. Was ist im Zuge des Projekts und auch seit der „Healing“ EP passiert? Also hat es geklappt, dieser Healing-Prozess? Kannst du wieder positive Gefühle mit Musikmachen verbinden, auch wenn es irgendwie inhaltlich weiterhin düstere Songs, düstere Themen sind?
Also es ist witzig, weil dieses „Healing“-Projekt ist ja damals für mich so ein bisschen gescheitert tatsächlich, weißt du? Ich habe mir das alles halt etwas größer vorgestellt tatsächlich. Ich wollte, dass diese Playlist am Ende tatsächlich ein Album ergeben wird und keine EP, so. Aber… irgendwas war in der Zeit, da ging’s mir auf jeden Fall nicht so super gut. Und ich glaube shortly danach ist auch schon, lass mal kurz nachdenken… Die Pandemie ist dann glaube ich auch kurz danach ausgebrochen. Oder war das… Ich bin immer so fucking verwirrend mit so „was ist vor zwei oder drei Jahren passiert“ (lacht).
Ich glaube Ende 2019 warst du mit den Orsons auf Tour und die „Frust“ EP kam und „Healing“ kam irgendwann 2020, aber ich weiß nicht, ob vor oder nach oder mitten zur Pandemie?
Ich glaube, das war so mittendrin. Also, jedenfalls ist das Projekt für mich so ein bisschen gescheitert, was einfach damit zusammenhing, dass ich, glaube ich, super unzufrieden war mit der Musik, wie ich sie gemacht habe. Ich war froh, dass ich diesen „Walzer“ dann geschrieben hatte, weil das war für mich irgendwie ein guter Abschluss, da ich den Song sehr gut fand und danach war mir aber schon klar, ich muss irgendwie ein bisschen aufräumen und irgendwie noch mal ein bisschen ein, zwei Sachen dazulernen, bevor ich, glaube ich… Musik machen kann und zumindest ’n bisschen zufrieden damit bin und ein bisschen das Gefühl habe „Okay, ich komme ein bisschen vorwärts, ich bin näher dran an dem Sound, wie ich es gerne hätte; ich finde, es klingt noch ein bisschen besser, ein bisschen professioneller“, solche Sachen. Und ich würde schon sagen „Jo, ich habe auf jeden Fall auch Phasen, die gut sind, in denen ich jetzt Mucke mache“. Es gibt safe Momente, da geht es mir gut und da denke ich „Ah ja, ich glaube, ich hocke mich mal wieder hin, ich höre mal diesen Beat noch mal an, ah geil und dann mache ich da bisschen…“ Genau, das ist jetzt auf jeden Fall da. Das war aber früher echt seltener der Fall. Ja, das stimmt schon.
Apropos „Walzer der Einsicht“, das war ja der letzte Song von der „Healing“ EP. Da sagst du „Ich schreibe seit 19 über meine Fehler. Ich war nie mein Freund, sondern mein größter Gegner.“ Ich finde, das fasst dein Schaffen super prägnant zusammen, das klingt aber irgendwie total traurig. (Odd John lacht) Und auf „Lost“ vom aktuellen „Schlecht“-Album sagst du „Ich bin so unfair zu mir selbst“. Bist du vielleicht ein bisschen zu streng mit dir? Und woher kommt dieser Drang, sich so konstant so öffentlich mit sich selbst auseinanderzusetzen?
Boah, das is’ echt ’ne gute Frage. Ich glaube, da muss man schon fast so tiefenpsychologisch reingehen, was eigentlich mein Komplex als Mensch ist, weißte. Ich meine, du hast schon voll recht, ich macht da ja auch kein Geheimnis draus, dass ich schon irgendwie an ’ner Form von Imposter-Syndrom, Minderwertigkeitskomplexen (lacht), dass da irgendwas in mir gegen mich arbeitet, weißte, obwohl ich doch mach’, was ich mach’, obwohl ich das Ganze eben veröffentliche, irgendwie dann auch schon dahinter stehe, in dem Sinne natürlich, das ergibt sich daraus für mich. Ja, und trotzdem hadere ich schon mit mir selbst und für mich hat sich da aber jetzt, irgendwie wo du das jetzt gerade so erwähnt hast, da gibt es für mich dann schon so eine Form der Entwicklung in dem Sinne, denn ich check’ schon, dass ich echt unfair (lacht) zu mir bin, weißt du, in dem Sinne, dass ich diesen Frust so krass an mich ranlasse, darüber, dass ich eben den Ansprüchen, wie ich sie vielleicht hab’ oder seh’, dass ich denen halt nicht gerecht werd’.
Also die Ansprüche scheinen so stark zu sein, dass du dein aktuelles Album „Schlecht“ nennst…
Safe. Ich meine’, das ist mir halt mittlerweile ’n bisschen bewusster und ich fand es auf jeden Fall witzig, mit diesem wirklich plakativen Minderwertigkeitsding so ein bisschen zu spielen, als ich auf diese Idee gekommen bin, das Tape einfach „Schlecht“ zu nennen, weil ich wusste, unter welchen Umständen ich das machen und durchziehen werde, so. Ich konnte mich gar nicht mehr trennen von der Idee. Ich fand, das war echt klug (lacht), weil es ist halt immer noch in meiner Musik drin ist, dass ich einfach sehr unsicher bin mit dem, was ich tue. Und in manchen Momenten bin ich davon überzeugt, dass es alles gut ist. Und die Momente, in denen ich aber denk „Jo, das ist einfach noch nicht… da is’ noch zu viel Luft nach oben, die ich irgendwie aber gerade aktuell mit meinem Status Quo nicht wirklich füllen kann“, dieser Frust darüber, der ist halt immer noch in der Musik drin. Und das wird vielleicht auch echt aufhören, wenn ich noch krassere (lacht) Musik machen kann, die Musik noch mehr so machen kann, wie ich mir das vielleicht tatsächlich vorstelle. Im Studio, mit coolen Leuten, Leuten, die mastern und solche Sachen.
„Schlecht“ ist ja jetzt auch als dein Debütalbum betitelt. Das ist ja schon ein Schritt in diese Richtung und, denke ich mal, auch ein wichtiger Schritt für die meisten Künstler:innen, erstmal überhaupt noch ein Album zu machen und dann halt das Debütalbum, was immer noch mal so eine gewisse Schwelle ist. Hat das für dich auch diesen Wert, also ist das nochmal was besondereres im Vergleich zu den EPs?
Ich find’s so witzig, weil, als ich mich mit meiner Promoterin, der Nelleke, ausgetauscht hatte meinte sie „Lass uns auf jeden Fall das ganze Ding auch dein Debütalbum nennen, weil es ist ja dein Debütalbum“ und ich will aber eigentlich die ganze Zeit nur noch, dass es einfach als mein erstes Album (lacht) betitelt wird, weißte? In diesem Ding „Debüt“ steckt für mich so viel, also in dem Wort „Debüt“ steckt für mich viel mehr Sicherheit mit der Vollendung des Projekts drin. Für mich ist es eher so „Jo, ich hab’ jetzt mal’n Album gemacht, weil ich dachte „Jo, ich glaube, ich bin jetzt soweit, ich kann das machen, einfach mal mehr als fünf Songs aneinander bringen und irgendwie auf ein Level heben.““ Aber, jo, das ist einfach nur mein erstes Album, wartet mal das zweite Album ab. (lacht) Des wird krass! Das nenne ich dann, ich werde es nicht „Gut“ nennen, aber… Das ist glaube ich eher mein Approach an die ganze Release-Sache grade so; für mich ist es – ja, es ist mein erstes Album, klar es ist in dem Sinne dann natürlich mein Debütalbum, aber ich sehe mich noch einmal wiedergeboren werden in noch einem Album, das noch besser wird. Und vielleicht nenne ich das dann mein Debüt-Debüt-Album. (lacht)
Quintessentially verpackst du als Odd John ja meistens überwiegend traurige Texte in nicht so traurige, teilweise sogar tanzbare Instrumentals, seit jeher ist das eigentlich dieser thematische Zuschnitt. Aber auf dem ersten Album jetzt (Odd John lacht) geht es teilweise inhaltlich noch drastischer zu, finde ich, als in deinen bisherigen Songs, z. Bsp. auf „Dystopie“ oder „HMB“ oder „Stirb so, dass es alle wissen wollen“, wo der Titel auch schon so’n bisschen krass klingt. Bringst du die Sachen jetzt nur deutlicher auf den Punkt, die vielleicht schon da waren? Oder haben sich gewisse Themen auch noch mal verschärft?
Jo, also bei so Songs wie zum Beispiel jetzt vielleicht „Dystopie“, was ja schon voll das aufgeladene Wort ist, und „Stirbt so, dass es alle wissen wollen“, da ist’s ein bisschen komplizierter, weil der Song ist so ’ne Anspielung auf ’nen Klassiker, auch von so einer Deutschpunkband tatsächlich, die heißt Keine Zähne im Maul, aber La Paloma pfeifen (lacht). Und der Song heißt „Leb so, dass es alle wissen wollen“. Vielleicht schwatz’ ich da später noch bisserl mehr, aber… Ich denk mir, in den Songs, jetzt beispielsweise in den zweien, kristallisiert sich für mich eigentlich nur raus, dass ich noch weniger in der Lage bin, die aktuelle Lage der Welt von mir abzuspalten und immer mehr sehe, wie das irgendwie auf mein Denken und auf mein… auf mein Wohlfühlen auch [einwirkt], weil ich einfach, glaub’ ich, langsam merke: Es gibt sowas wie ’ne gewisse Angst vor der Zukunft, die mich einfach viel leitet. Das ist alles schlimmer geworden. Das ist nicht besser geworden und ich glaube deswegen sind vielleicht die Songs auch in dem Zusammenhang drastischer und kommen auch drastischer daher, auch so vom Sound her. Die Songs sind für mich auf dem Album auf jeden Fall auch, also ich red’ jetzt von „Stirb so“ und „Dystopie“, die sind auch sehr mittig platziert, das sind für mich die wirrsten und irgendwie auch komplexesten Tunes. Für mich stehen die Songs wirklich komplett für meine Angst vorm… (lacht) vorm Ableben der Menschheit, weißte? Ja, es ist schlimmer geworden, für mich, meine Wahrnehmung davon wird leider schlimmer und deswegen sind die Songs glaube ich so geworden.
Ja, kann ich total verstehen und fühle ich auch.
Ja, das beschäftigt ja echt alle, Alter. Also klar, man bewegt sich natürlich in gewissen Kreisen, aber ich schwör’ ich kenn’ echt niemanden, den das alles noch kalt lässt, der sich nicht denkt: „Puuuh“. Das ist so ein diffuser Satz, aber so dieses „Es rückt näher“. Keiner weiß was „es“ ist, aber so das Potpourri aus Katastrophen, das rückt einfach näher und genau das lässt niemanden kalt, oder?
Ich habe auf deinem Twitter gesehen, dass du dich vor ein paar Tagen, da hast du was geretweetet, da ging es um den Konflikt an der polnischen Außengrenze, dass jemand meinte „Ja, das ist doch ganz klar ein kriegerischer Akt von Belarus, lass’ man ’nen Krieg anfangen“, dass du dich, ich weiß nicht mehr den genauen Tweet-Laut, aber dass es quasi um diese diffuse Angst vor Krieg ging. Was ich total verstehen kann; also gerade finde ich auch und finden wahrscheinlich alle auf der Welt Zukunft so super ungewiss.
Es ist so unfassbar traurig, ne, oder was heißt traurig? Es ist so frustrierend auch, dass es irgendwie viel einfacher für uns ist, sich vorzustellen, wie es schlecht ausgeht, als sich ’ne Welt vorzustellen, in der alles besser werden kann. Und klar, ey, das ist vielschichtig natürlich, warum man oft so denkt, aber es ist auf jeden Fall extrem frustrierend. Und was ich mir, weißte auch gerade wenn es jetzt um diese Katastrophe an der polnisch-belarussischen Grenze geht… Ich bin viel im Internet so, man liest einfach nur wie das Wording der Sachen, weißte, wo das irgendwie als ein, so von polnischer offizieller Seite, als ein „hybrider Angriff“ betitelt wird, wo Menschen – Geflüchtete – komplett entmenschlicht werden, zu Waffen antagonisiert werden. Das nimmt alles immer mehr so ’ne Rhetorik an, wo ich halt echt denke „Jo, ist doch gar nicht so unwahrscheinlich, dass es irgendwie knallt“. Und wenn dann Leute irgendwie im Internet ankommen und sagen so „Ist auch gut so, dass es knallt. Let’s go!“ Da denke ich mir so „Wie fucking…“ (lacht), also… Ich glaube, die Leute sind sich nicht dem Ausmaß bewusst, was über uns als Damoklesschwert hängt. Das finde ich so… fast schon witzig. Es ist so absurd.
Also fühle ich total und ich glaube, das Internet macht’s vielleicht auch nicht besser…
Isso. (lacht)
Du hast ja vorhin schon gesagt, das Internet war total wichtig für dich in deiner musikalischen Sozialisation. Du hast sogar Songs über das Internet gemacht, also auf „Internet“ hast du noch „Love for the internet“, auf „Internet 2“ von der „Frust“ EP da heißt es dann schon „Mittlerweile geht’s mir schlecht überall ohne Netz“. Und jetzt auf „Dystopie“ vom aktuellen Album sagst du „Menschen sitzen träumend mit Stockholm-Syndrom vom Internet in ihrer Wohnung“ und hast ja gerade auch selber so ein bisschen beschrieben, wie dieser Weltschmerz auch dann übers Internet an einen rankommt. Wie hat sich so dein Verhältnis zum Internet gewandelt und wirst du vielleicht bald zum Offliner?
Also (lacht)… Poah, Internet ist einfach so, das ist so die schwierigste Beziehung für viele Menschen, aber ich glaube das ist, es ist so unfassbar schwierig, dieses Vernetzt-Sein, diese Abhängigkeit dannach, weißte. So wirklich chemisch, da geht es dann um Dopamin, was du irgendwie ausschüttest – es ist so unfassbar kompliziert. Ich liebe das Internet immer noch. Ich bin der festen Überzeugung, das Internet hat mich und hat auch viele Leute gerettet in irgendeiner Form… Das Internet ist toll. Ich liebe das Internet immer noch. Nur… es wird halt immer schwieriger durchs Internet zu navigieren, was halt einerseits damit zusammenhängt: Es gibt große Konzerne, die ein Interesse daran haben, das Internet auch nach gewissen Mustern zu gestalten, das ist natürlich eine Sache, aber jo, ey, wie du mit dem Internet umgehst, entscheidet echt häufig darüber: geht’s dir gerade gut oder nicht so gut? Hast du gerade viel Exposure zu Dingen, die dich, ich benutzt da jetzt ganz bewusst das Wort „triggern“, weißte, hast du viel Exposure zu solchen Sachen oder gerade nicht. Und wenn du es gerade aber nicht hast, weil du nicht ins Internet gehst, fehlt dir dann was? Fehlte dir dann irgendwie ’ne gewisse Form der Vernetzung, die du brauchst, weil du vielleicht gerade… Das ist sooo, dieses ambivalente Verhältnis zum Internet ist was, ey, das wird mich für immer beschäftigen, Alter, das ist so krass. Ich hatte früher immer so die Überzeugung „Jo, das Internet wird uns retten“. Weil im Endeffekt geht es viel um Schwarmintelligenz – aber mittlerweile bin ich mir nimmer so ganz sicher (lacht), ob das Internet uns retten wird, weil wir nicht damit umgehen können. Ich glaube, in 10, 20, 30 Jahren wird uns, wie wir miteinander im Internet umgegangen sind, das wird uns unglaublich peinlich sein auch.
Das Internet vergisst nicht.
Das Internet vergisst nicht.
Apropos: On that note würde ich dir gerne einen deiner recent Tweets vorlesen.
Oh Shit (lacht). Ja, sehr gerne.
Du hast am 08.11. getweetet: „diese Woche noch final tweaks am album machen dann abgabe 9 tage vorher zweiter name knapp“ Kannst du was dazu sagen?
Der Tweet ist tatsächlich… Ich hab bis zum Schluss, also echt bis – ich habe das Tape jetzt abgegeben am, heute ist Mittwoch [vor Albumrelease am Fr, Anm. d. Red.], letzten Donnerstag habe ich das weggeschickt und das is’ schon knapp. Also ich habe echt bis zum Schluss noch Sachen daran gemacht. Ich habe auf diesem „Hirn Machine Broke“, das ist auch einer der Songs, der zuletzt dazugekommen ist, an dem habe ich noch sau viel verändert. Und dann generell noch einmal halt echt final das Ding über so viele verschiedene Geräte, wie ich irgendwie zur Verfügung hatte, angehört und nochmal so final-final mini Tweaks im Master gemacht und dann aber auch gesagt „Jo, let’s call it a day, ich muss das Ding wegschicken“. Witzigerweise instant – ich habe natürlich das Ding net nur einmal wegschickt, sondern dreimal, weil ich noch dreimal was verändern musste. Und dann habe ich aber eben gesagt „Jo, let’s call it a day, fuck it. Ich will mich jetzt auch loslösen davon“ und hab’ das dann jetzt tatsächlich sehr spät abgegeben, jap.
Jetzt verstehe ich auf jeden Fall das Album und den Titel ein bisschen besser und bedanke mich für’s Interview. Hast du noch berühmte letzte Worte?
Ja, wartet mal auf jeden Fall noch auf’s zweite Album (lacht). Wenn euch das Album jetzt gefällt, dann wartet das zweite Album noch ab. Das wird auf jeden Fall noch nicer. Es wird vielleicht… Es wird auf jeden Fall gut. Ich werd’s nicht „Gut“ nennen, aber ich weiß, es wird gut. (lacht) Okay, das wär’s auch schon soweit.
(Foto: Julius Pfeiffer)