LYNE - Instabil EP

Musik als Therapie – LYNE im Interview zu ihrer neuen EP „Instabil“

Die Solinger Künstlerin LYNE veröffentlichte nach einer Reihe von Vorabsingles vor kurzem ihre zweiten EP „Instabil“. Ehrlich und verletzlich behandelt LYNE auf ihrem neuen Tape, wie auch schon auf ihrer ersten EP „Feelings“, vor allem auch sperrige Themen wie toxische Beziehungen, Gewalterfahrungen und Mental Health Issues. Die neun Tracks der EP erzählen von tiefen mentalen Abgründen und zeichnen zugleich den Prozess einer jungen Frau nach, die ihre alte Hülle abstreift, um endlich Frieden zu finden. Dabei finden touchy Jazz- und R&B-Vibes, melodischer Lo-Fi-Hiphop und Drum & Bass- sowie UK-Garage-Elemente harmonisch mit LYNEs sanfter Stimme zusammen. Die eigene, musikalische Nische zwischen abgründig-schöner Bittersweetness und leichtfüßigen Healing-Fortschritten bezeichnet die studierte Psychologin für den Moment augenzwinkernd selbst als „R&Therapy“.

Wir trafen LYNE zum Gespräch über die Entstehung der „Instabil“-EP, Empathie bei Studio-Sessions und den öffentlichen Diskurs über Mental Health Issues.

Hi Lyne, schön, dass du dir die Zeit genommen hast. Deine zweite EP „Instabil“ ist seit kurzem draußen – wie geht es dir, wie war der Releaseday und die Zeit bis dahin?

Hallöli (lacht), mir gehts ganz gut, und selbst? Ich muss sagen, dass irgendwie immer so kurz vor dem Release alles gar nicht mehr so aufregend ist und auch, wenn dann der Releasetag ist, ich gar nicht aufgeregt bin. Das ist immer so die Wochen vorher, weil ich dann auch noch so im Vorbereitungsstress bin, dann bin ich aufgekratzt und freu mich auch voll. Ich glaub, mein Gehirn funktioniert leider so, dass es dann schnell wieder aussortiert und sich mit dem nächsten Projekt befasst (lacht). Aber ich bin auf jeden Fall stolz auf die EP und dass sie jetzt endlich auch für alle verfügbar ist.

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Cool. Die 9 Songs der EP sind ja teilweise schon etwas älter, ich glaube sogar von vor deiner ersten EP „Feelings“. Wie kam es zu dieser Zusammenstellung der Songs?

Ne, die Songs von der EP „Feelings“ wurden alle vor ‘nem Jahr vom Hamburger Produzenten Cashquet produziert. Die Songs auf der „Instabil“-EP sind alle im Parkhausstudio Köln entstanden, mit den Produzenten mit denen ich auch sonst am intensivsten zusammenarbeite.

Es sind einige Songs von Carlos Ricaurte, der mich damals dazu gebracht hatte deutsche Songs zu schreiben, das sind „Noch ein Schluck“, „Kalte Fliesen“, „Komm nicht runter“, „das Bleibt“ und „Instabil“. Für mich sind das auch alles sehr persönliche Songs, die alle eine Geschichte aus meinem Leben erzählen. Welche eben auch ein Teil meiner Borderline-Störung sind, „Instabile-Persönlichkeits-Störung“ (lacht). Die Songs sind alle in der Zeit von 2021 bis heute entstanden, in dieser Zeit habe ich mich viel entwickelt und reflektiert. Deswegen sind die alle auf der EP, alles eigene Geschichten, die ein Gesamtbild darstellen. … Für mich bauen auch einige der Songs aufeinander auf.

Das ist interessant, folgen die verschiedenen Songs der EP mit ihren Themen einer bestimmten chronologischen oder eher einer inhaltlichen Reihenfolge?

Eher einer inhaltlichen Reihenfolge, der erste Song „Instabil“ ist sozusagen der Einstieg, Einblick in mein damaliges subjektives Empfinden meines psychischen Zustandes, meine persönliche Meinung, Selbstabwertung, dass niemand so „instabil“ ist wie ich. Dadurch, dass ich so ein schlechtes Selbstbild hatte, habe ich auch toxische Partner angezogen, die mich darin eben noch mehr bestärkt haben und mir meine letzte Kraft geraubt haben, deshalb „Kalte Fliesen“. „Noch ein Schluck“ beschäftigt sich mit suizidalen Gedanken, keine Hoffnung mehr zu haben und das ganze mit Alkohol zu bekippen. In diesem Loop habe ich mich lange befunden. Schlechte Coping-Mechanismen.

„Lass dich fallen“ ist zwar eine Geschichte, die ihren Ursprung lange zurück hat, da war ich ca. 14 Jahre alt, aber leider ist es trotzdem etwas, was mir und anderen Frauen immer wieder begegnet und was eben auch unsere Realität ist. Ich hab damals auch gedacht, ich hätte es nicht anders verdient, wodurch wir auch auf den nächsten Song „Gemein“ kommen, da dieser von selbstverletzendem Verhalten handelt und meinen schlechten Gedanken über mich selbst. Darauf folgt „komm nicht runter“, weil ich meinen Selbstwert lange von anderen hab bestimmen lassen und mich in Wunschdenken verloren habe, was mich aber zum Teil von meiner eigenen Verzweiflung für kurze Zeit abgelenkt hat. Bis es dann zu „Geist“ kam, welcher beschreibt, dass ich danach geghostet wurde und wieder zurück zu all den Selbstwertfragen zurückgeworfen wurde. Mich selbst nicht für genug zu halten.

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Um dass irgendwie endlich mal zu durchbrechen, habe ich viel an mir gearbeitet und viel reflektiert, viel Therapie gemacht, deswegen ist „Schwarz/Weiß“ der vorletzte Song der EP. Ich setze mich damit auseinander, wie ich mich mit meinen Glaubenssätzen selbst sabotiert habe und immer klein gehalten habe und dass ich das aber durchschaut habe und nicht mehr zurückblicke. „das bleibt“ ist ein schöner Abschluss, da ich in dem Song von wieder zurückgewonnener Leichtigkeit singe und auch von Hoffnung, dass das eben bleibt.

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Ah danke, jetzt verstehe ich die EP als ganzes bzw. als zusammenhängendes Werk auf jeden Fall besser. Da du es vorhin angesprochen hattest und sich das auch durch deine Musik zieht: Du gehst in deinen Texten und auch auf deinen Social-Media-Kanälen recht offen mit deiner Borderline-Diagnose um. Ich glaube, es gibt da oft Missverständnisse, um was es sich dabei genau handelt. Könntest du die Krankheit bzw. den Begriff vlt. kurz erklären, falls du magst?

Ich glaube, dass der „Begriff“ Borderline bei vielen mit dramatischen, krassen Dingen assoziiert ist, es gibt viel Stigmatisierung, dass Borderliner „Monster“ sind, die alle extrem manipulativ und auch total beziehungsunfähig sind. Das ist falsch… und trägt leider auch zu dem negativen Selbstbild bei, womit viele Menschen mit dieser Diagnose zu kämpfen haben. Es wird unterschieden zwischen dem Borderline-Typ, der eher in sich gerichtet ist, und dem Impulsiven Typ, bei dem die Erkrankung eher „offen“ sichtbar ist. Es ist klar, dass die Erkrankung Schwierigkeiten mit sich bringt Beziehungen aufrecht zu halten, sich selbst zu kontrollieren, also eine Neigung zu Impusivität, riskantes Verhalten oder eben selbstverletzendes Verhalten, Stimmungsschwankungen, massive Selbstzweifel, wer man ist, wo man hingehört. Es ist auch total unterschiedlich, wie ausgeprägt die Bereiche sind. Aber es gibt Therapien, die helfen, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, da ich aktuell die Kriterien der Borderline-Störung nicht mehr erfülle und sehr wohl in der Lage bin ein „stabiles“ Selbstbild zu haben. Auch wenn es natürlich noch manchmal Phasen gibt, wo es einem schlecht geht, aber ich denke, das ist normal.

Das macht es für die Leser:Innen sehr verständlich, glaube ich, danke. Und „Herzlichen Glückwunsch“, falls das der richtige Ausdruck ist, dass du aktuell symptomfrei bist! Hat das musikalische Verarbeiten, also die „R&Therapy“, wie du deinen Stil nennst, dabei auch geholfen? Oder ist die Musik sozusagen deine nachträgliche Aufarbeitung?

Haha, ja, ich glaube, dass ist schon etwas, wo man stolz sein kann, weil es schon auch ein langer, steiniger Weg war, deswegen danke für die Glückwünsche (lacht) und auch nochmal danke an dich für den Begriff „R&Therapy“, den ich ja dann von dir übernommen habe. Die Musik hat mir enorm dabei geholfen, alles aufzuarbeiten, nochmal anders zu reflektieren und zu betrachten. Wenn ich Musik mache, bin ich ganz bei mir und hab nochmal ’nen anderen Zugang zu meinen Gefühlen, als wenn ich darüber rede, was natürlich auch immer hilft. Außerdem ist es etwas, wo ich auch in mich und meinen Selbstwert investiere. In den Glauben an mich, entgegengesetzt dem Glaubenssatz „Ich bin schlecht, ich bin nicht gut genug“ etc.

Wo du grade sagst, dass du ganz bei dir bist beim Musikmachen: Wie ist das im Studio mit deinen Produzenten, solche intimen Texte zum ersten Mal vor jemand anderem auszusprechen bzw. zu singen? Oder nimmst du deine Vocals vlt. alleine zu Hause auf und ihr produziert die Songs dann im Studio gemeinsam aus? Wie ist da der musikalische Prozess?

Meistens schreibe ich zuhause, ich bin nicht so geübt, solche Texte mal eben so in einer Session rauszuhauen. Ich nehmen zuhause dann auch demomäßig auf, baue mir ein Grundgerüst aus Samples in Logic, damit die Produzenten auch schonmal wissen, wo die Reise hingeht (lacht). Ich hab schon genaue Vorstellungen, wie was klingen soll und bin froh, so tolle Künstler kennengelernt zu haben, die auch meine Vision verstehen. Die Songs werden dann gemeinsam im Studio produziert und die Vocals werden neu aufgenommen. Ich glaube, der einzige Song, den ich im Studio geschrieben haben in einer Session war „Schwarz/Weiß“ mit Dienst&Schulter. Der kam einfach rausgesprudelt (lacht).

Ich fühle mich generell im Studio sehr gut aufgehoben, alles empathische Menschen, wo man auch gute Gespräche hat und auch keine Hemmungen haben muss solche Texte zu singen.

Das ist gut! Ich finde es übrigens unglaublich mutig und ein Zeichen von Stärke, sein Innerstes so ehrlich nach außen zu tragen und in seiner Musik so schwere und schwierige Themen wie die eigenen Mental Health Issues, selbstverletzendes Verhalten, sexualisierte Gewalterfahrungen und Suizidgedanken im Prinzip ja allen mitzuteilen. Wie ist das für dich? Kostet es dich Überwindung, die Songs dann auch zu releasen und einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder fühlt es sich für dich eher an wie vlt. Tagebuchschreiben oder Journaling und du blendest diesen Aspekt der Öffentlichkeit total aus?

Irgendwie fühlt sich das für mich ganz natürlich an, also diese Songs zu schreiben, im Studio aufzunehmen, auszuproduzieren. Ich mein’, ich beschäftige mich damit mein ganzes Leben lang gefühlt und ich weiß, dass so viele Menschen sich mit diesen Themen identifizieren können und man auch darüber sprechen sollte. Wer dafür kein Verständnis hat, soll sich die Musik eben nicht anhören. Aber ich denke, meine Songs werden die richtigen Menschen schon erreichen. Der einzige Punkt, der mir manchmal Angst macht, ist eben die Befürchtung, stigmatisiert zu werden, was in mir dann manchmal Scham auslöst… das kommt meistens hoch, wenn ich sehr persönliche Sachen dazu schreibe, z. Bsp. auf Insta. Was ist wenn irgendwer irgendwas Negatives denkt. Immer wenn ich merke, mein Kopf fängt wieder an sich mit sowas zu beschäftigen, versuche ich mir innerlich zu sagen „Stop“ und entgegengesetzt zu handeln, die Angst zu überwinden und es trotzdem zu machen.

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Ich denke, genau das, diese Stigmatisierung bzw. die Angst vor der Stigmatisierung, haben wahrscheinlich die meisten Menschen mit Mental Health Issues gemeinsam, was dann zu dem Dilemma führt, dass es vielen ähnlich bzw. ähnlich schlecht geht, aber sich alle alleine mit diesen Problemen fühlen, weil niemand darüber redet. Deswegen finde ich deine Musik einen total wichtigen Beitrag dazu, diesen Diskurs aufzumachen und Gespräche anzustoßen. Ist dir das auch ein Anliegen mit deiner Kunst, neben der Aufarbeitung und eigenen Selbstreflektion?

Das freut mich sehr zu hören (grinst). Ja, auf jeden Fall! Mir hat Musik von anderen Künstlern und Künstlerinnen auch geholfen, in schweren Phasen habe mich mit deren Musik identifiziert, verstanden und gesehen gefühlt. Das wünsche ich mir, dass meine Songs auch irgendwem etwas geben, woran sie sich festhalten können. Klingt irgendwie immer bisschen abgedroschen, aber ist so. Mir bedeutet das so viel, dass erstens mehr über solche Themen gesprochen wird und das Musik einen ermutigen kann.

Das ist egtl. ein sehr schönes Schlusswort, finde ich. Du hattest anfangs erwähnt, dass dein Gehirn evtl. schon mit dem nächsten musikalischen Projekt beschäftigt ist: Kannst du da vlt. schon etwas zu verraten?

Ich habe auf jeden Fall schon die nächsten Songs in der Pipeline und es besteht die Chance darauf, dass zukünftig auch mit der Unterstützung eines Labels machen zu können. Ich schreibe gerade auch an Songs, die sich mit dem Patriarchat beschäftigen und auch mehr female empowernd sind, versuche mich textlich weiterzuentwickeln. Wir werden sehen, was die Zukunft so bringt (grinst).

Cool, ich bin gespannt! Viel Erfolg mit der Releasephase von „Instabil“ auf jeden Fall weiterhin und vielen Dank für das Gespräch!

Ich danke dir, hat spaß gemacht!

Die ganze „Instabil“-EP von LYNE findet ihr hier:

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